Die Insektenbestände gehen drastisch zurück. Um endlich gegenzusteuern, fordert der NABU von der Politik Maßnahmen zur Verringerung des Pestizideinsatzes. In Schutzgebieten, in Gärten sowie auf kommunalen Flächen sollen Pestizide ganz verboten werden. Wichtig ist zudem eine intensivere Forschung über Insektenbestände und Rückgangsursachen.
Der seit Jahrzehnten anhaltende Insektenrückgang, von dem bisher in erster Linie seltenere und spezialisierte Arten betroffen waren, wird inzwischen vor allem für allgemein häufige und verbreitete Arten beobachtet.
Zu den bekannten Ursachen wie Stickstoffeintrag, Grünlandumbruch, Wegfall von Brachen, großflächige Mahd, Überweidung, Wegfall der Beweidung oder Lichtverschmutzung tritt der verbreitete Einsatz hochwirksamer beziehungsweise langlebiger Insektizide und Herbizide hinzu, deren Einsatz auch vor Schutzgebieten und deren nächster Umgebung nicht Halt macht. Die intensive Landwirtschaft steht somit im Verdacht, der Hauptverursacher des neuerlichen dramatischen Rückgangs von Insekten zu sein, der zu einer starken Abnahme der Insektenbiomasse und der Insektenvielfalt geführt hat.
Insektenschwund führt zum „stummen Frühling“ bei Vögeln
Die aktuelle Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse des Entomologischen Vereins in Krefeld zusammen mit Wissenschaftlern aus den Niederlanden und England sowie deren Veröffentlichung in PLOS ONE am 18. Oktober 2017 bestätigen wissenschaftlich überprüfbar in eindrucksvoller Weise diesen dramatischen Insektenrückgang. Auch dadurch hat die Thematik in Deutschland und über Deutschland hinaus weithin Beachtung in der Öffentlichkeit gefunden. Diese Untersuchungen beziehen sich auf Standorte, die sich überwiegend in Naturschutzgebieten befinden, was die Dramatik der festgestellten Entwicklungen noch erhöht.
Wir beobachten seit Jahren in Deutschland und Europa stark zurückgehende Vogelbestände vor allem im Agrarbereich. In Deutschland ist, wie eine aktuelle Untersuchung des NABU zeigt, in den letzten zwölf Jahren die Anzahl der Brutvogelpaare um 15 Prozent zurückgegangen. Mit Sicherheit sind diese Einbußen auf den Rückgang der Insektenfauna zurückzuführen; fast alle betroffenen Arten füttern zumindest ihre Jungen mit Insekten. Dieser erneute „stumme Frühling“ ist in vielen Regionen unseres Landes traurige Wirklichkeit geworden.
Die NABU-Bundesvertreterversammlung fordert die neue Bundesregierung auf,
die anstehende Reform der EU-Agrarpolitik für eine grundsätzliche Neuorientierung zu nutzen. Ein wichtiger Teil dieser Reform muss die ausreichende Finanzierung von Naturschutzmaßnahmen von Landnutzern und anderen Akteuren sein, um den Rückgang der Biologischen Vielfalt in Agrarräumen zu stoppen und wiederherzustellen. Auf EU-Ebene sind hierzu die Einrichtung eines Naturschutzfonds mit mindestens 15 Milliarden Euro pro Jahr und die Aufstockung des LIFE-Programms auf eine Milliarde Euro pro Jahr erforderlich. Auf Bundesebene sollte das Budget für das Bundesprogramm für Biologische Vielfalt auf jährlich 50 Millionen Euro erhöht werden und die Gemeinschaftsaufgabe Biologische Vielfalt mit jährlich 100 Millionen Euro ins Leben gerufen werden.
den Pestizideinsatz durch die Verankerung eines generellen Minimierungsgebotes im deutschen Pflanzenschutzrecht, die grundsätzliche Etablierung des Integrierten Pflanzenschutzes und die verstärkte Förderung der ökologischen Landwirtschaft und die Verbesserung unabhängiger Beratung zu reduzieren.
die Offenlegung von Daten zum bundesweiten Absatz von Pestiziden, gegliedert nach tonnengenauen Mengen und einzelnen Wirkstoffen für die letzten 30 Jahre durch die Bundesbehörden. Daneben sollen zukünftig Landesbehörden von den Anwendern die schlagspezifischen Daten zum Pestizideinsatz jährlich einfordern, längerfristig dokumentieren und öffentlich zugänglich machen.
die Internalisierung externer Kosten wie Gesundheits- und Umweltschäden in die Preisgestaltung von Pestiziden durch die Einführung einer Pestizidabgabe.
ein generelles Verbot von Pestiziden sowie der prophylaktischen Anwendung ökologisch wirksamer Tierarzneimittel in Naturschutzgebieten, Natura-2000-Gebieten, Pflegezonen von Biosphärenreservaten und Nationalparken, Streuobstwiesen, im Haus- und Kleingartenbereich und auf kommunalen Flächen zu erreichen. Darüber hinaus sollte die Bewirtschaftung inner- und außerhalb von Schutzgebieten (hier mit einem Puffer von mindestens 500 Metern) nach ökologischen Prinzipien erfolgen und in diesen Bereichen der Pestizideinsatz gänzlich untersagt werden. Die Anwendung ökotoxikologisch hochbedenklicher Wirkstoffe wie Neonikotinoiden sollte EU-weit untersagt werden.
eine Neugestaltung der Zulassungsprüfungen für Pestizide einzufordern und national vorzuschreiben, mit der unbedingt notwendigen realitätsnahen Prüfung der Wirkung von Pestiziden und deren Anwendungsmischungen auf ganze Zönosen und Nahrungsnetze in der Natur sowie wichtige ökosystemare Prozesse wie Bestäubung, Nitrifikation, Streuzersetzung und Photosynthese.
ein Deutsches Zentrum für Biodiversitätsmonitoring einzurichten. Zentrale Aufgabe ist die Erforschung und das Monitoring der realen Biodiversität und deren Entwicklung in enger Zusammenarbeit von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, naturwissenschaftlich/naturkundlich ausgerichteten Vereinen, Forschungseinrichtungen und zuständigen Behörden.
umfangreiche Forschungs- und Fördermittel für naturkundliche Vereine, Hochschulen und Forschungszentren bereitzustellen, mit denen die Ursachen der Biodiversitätsverluste erforscht und entsprechende Managementstrategien ausgearbeitet werden können.
ein bundesweites, langfristig angelegtes Insektenmonitoring zu etablieren. Dies ist auch von Bedeutung für die Überprüfung der Wiederzulassung von Pestiziden, wie es im „Aktionsrahmen der Gemeinschaft für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden“ von den Nationalen Aktionsprogrammen (NAP) der Mitgliedsstaaten gefordert wird.
die derzeit stark reduzierte taxonomische Ausbildung an den Hochschulen durch Einrichtung und Finanzierung von Professuren und Aufnahme in die Ausbildungs- und Prüfungsordnung wieder zu etablieren und die Aus- und Fortbildung über die naturwissenschaftlich/naturkundlich ausgerichteten Vereine angemessen zu fördern.
Von der Bundesvertreterversammlung des NABU am 5. November 2017 in Hannover einstimmig verabschiedet