Glyphosat – Die Herbizid-Sackgasse
Viele Naturschutzaktivisten haben relativ überschaubare Kenntnisse was die Wirkungsweise von Unkrautvernichtungsmitteln angeht. Beim Haaner Autor Volker Stoldt ist das anders: Mikrobiologie, Biochemie, Gentechnik und Analytik sind für ihn als Arbeitsgruppenleiter in der Zell- und Mikrobiologie an der Uni Düsseldorf normale Dinge. Hier also ein AGNU-Beitrag auf höchstem fachlichen Niveau.
Das spätsommerliche Landschaftsbild ist uns geläufig: Auf den Feldern liegen verbreitet gelbe und später braune, sterbende Pflanzen. Nach der Ernte und noch vor der Bodenbearbeitung, werden im konventionellen Ackerbau ausgekeimte Wildkräuter tot gespritzt, um die bevorstehende Bodenbearbeitung zu erleichtern. Das gleiche Bild im Frühling: Einzelne Äcker färben sich braun statt saftig grün. Häufig kommt das preiswerte Breitbandherbizid Glyphosat zum Einsatz. Es greift einkeim- (monokotyle) und zweikeimblättrige (dikotyle) Pflanzen gleichermaßen an.
Glyphosat, wurde nach seiner Erstsynthese durch die Firma Cilag 1950 vom Konzern Monsanto als Wirkstoff im Roundup 1974 patentiert und verkauft. Über grüne Pflanzenteile aufgenommen, hemmt Glyphosat bei allen Pflanzen ein Enzym in Chloroplasten, das für die Synthese aromatischer Aminosäuren (Phenylalanin, Tyrosin, Tryptophan) im Shikimat-Syntheseweg verantwortlich ist. Während Pflanzen und Mikroorganismen diese Aminosäuren synthetisieren können, müssen wir Menschen sie über den Verzehr von Pflanzen zu führen. Diese Aminosäuren sind für uns essentiell, denn uns fehlt das entsprechende Enzym – die 5-Enolpyruvylshikimat-3-phosphat-Synthase (kurz: EPSPS), dem Wirkort des Glyphosats. An diesem Wirkort kann bei Anwesenheit von Glyphosat ihr natürliches Substrat Phosphoenolpyruvat nicht binden – eine kompetitive Hemmung – und die Bildung aromatischer Aminosäuren wird blockiert.
Die bakteriellen EPSPS werden im Vergleich zum pflanzlichen Enzym nicht oder weniger stark durch Glyphosat gehemmt, da sie sich mehr oder weniger von der pflanzlichen EPSPS unterscheiden. Kulturpflanzen (meist in den USA: Mais, Raps, Weizen, Zuckerrübe etc.), die heute resistent gegen Glyphosat sind, tragen meist ein bakterielles Gen der EPSPS, das nicht durch Glyphosat gehemmt wird. Diese Pflanzen sind gentechnisch verändert. Glyphosat-resistente Wildkräuter sind in der Regel durch den massiven Selektionsdruck des Glyphosateinsatzes entstanden, als durch das Auskreuzen des bakteriellen Gens der EPSPS in die Wildkräuter hinein. Vielerorts und maßgeblich in den USA wirkt Glyphosat bei resistenten Wildkräutern („superweeds“) nicht mehr.
15 Jahre nach seiner Kommerzialisierung wurden zwischen 1998 und 2014 35 glyphosat-resistente Arten weltweit identifiziert (Heap). Erste mechanistische Nachforschungen zur Resistenzentstehung bei Wildkräutern wurden 1999 am Steifen Lolch (Lolium rigidum) vorgenommen. Heute ist eine ganze Reihe von Mutationen bekannt, die die EPSPS so verändern, dass Glyphosat nur reduziert den Shikimat-Weg hemmt. Diese Mutationen ziehen z.B. eine Aminosäuresubstitution in Position 106 der EPSPS nach sich. Prolin kann in dieser Position durch Serin, Threonin, Alanin oder Leucin substituiert worden sein, wodurch der Zugang des Glyphosats an den Wirkort eingeschränkt ist. Der Austausch, der eine bis zu 15-fach gesteigerte Glyphosat-Unempfindlichkeit gegenüber dem Wildtyp zeigt, ist bei L. rigidium, Italienisches Raygras (L. multiflorum), Fingerhirse (Eleusine indica), Schamahirse (Echinochloa colona), Digitaria insularis und der Fuchschwanz-Art Amaranthus tuberculatus beschrieben worden. Darüber hinaus sind weitere Mutationen sowie Doppelmutationen bekannt, die zu weiteren bzw. zusätzlichen Aminosäure-Substitutionen in der EPSPS führen.
Besonders in den USA sind Genverdoppelungen der EPSPS zu finden. Bei Fuchschwanz-Arten (Amaranthus ssp.) liegen bis 100 Kopien des Gen für EPSPS vor. Bei Lolium multiflorum wurden bis zu 25 Kopien beobachtet. Die mit diesen Verdoppelungen einhergehende Resistenz beruht auf der gesteigerten Expression bzw. der damit verbundenen erhöhten Proteinmenge der EPSPS (Gen-Dosis-Effekt). Genverdoppelungen führen bei A. palmeri zu einer siebenfach gesteigerten Unempfindlichkeit gegenüber Glyphosat im Vergleich zur empfindlichen Wildtyp-variante.
Neben den genetischen Veränderungen sind noch weitere Resistenzmechanismen bekannt:
a) Einige Wildkräuter z.B. Mohrenhirse (Sorghum halepens) ziehen Glyphosat aus dem Verkehr im dem sie es in die Vakuole transportieren. Diese Vorgänge sind temperatur-abhängig, vererbbar und molekulare Analysen haben gezeigt, dass ein ABC-Transporter an der vakuolen-vermittelten Resistenz beteiligt ist. ABC-Transporter sind eine große Familie von Transmembranproteinen, die eine ATP-bindende Domäne besitzen und demzufolge als energie-abhängige Transportproteine fungieren. Meist handelt es sich um Exporter, die ihre Substrate aus der Zelle oder in die Vakuole befördern. Sie helfen der Pflanze bei der Entgiftung.
b) Das Dreiblättrige Traubenkraut (Ambrosia trifida) antwortet mit einer schnellen Nekrose der Pflanzenteile, die mit Glyphosat belastet sind, so dass eine Ausbreitung des Gifts über das Phloem in der Pflanze eingeschränkt wird. Die Pflanze kann den Angriff mit Glyphosat überleben.
(Sammons and Gaines)
Nach über 40 Jahren der Anwendung von Glyphosat sind verschiedene Mechanismen der Anpassung an Glyphosat gut beschrieben, weitere wissenschaftliche Arbeiten werden das Bild noch ergänzen. Aber schon jetzt können die Sackgassenentwicklungen des Glyphosateinsatzes ausreichend gut beschrieben werden:
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Diversitätsrückgang: Resistente Wildkräuter werden in letzter Konsequenz den Einsatz erst von Glyphosat und später den notwendig werdenden Einsatz von alternativen Breitbandherbiziden mit zunehmender Häufigkeit standhalten. In den kommenden Jahren wird mehr Glyphosat auf die Äcker kommen. Der steigende Selektionsdruck wird die Ausbreitung von Resistenzen in der Fläche und bei weiteren Arten vorantreiben. Eine Spirale der Resistenzausbreitung, die vom Antibiotikaeinsatz bekannt ist. Pflanzenarten, die nicht über genetische, biochemische oder physiologische Anpassungsmechanismen verfügen oder deren Bestand ohnehin schon bedroht ist, werden verschwinden.
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Resistenz-Präkonditionierung: Die Optimierung der molekulargenetischen Mechanismen zur Anpassung an Herbizide wird durch den großflächigen und intensiven Einsatz von Glyphosat beschleunigt und dies wird zukünftig die Resistenzentwicklung gegenüber weiteren Herbiziden begünstigen. Die Ausprägung von Mehrfachresistenzen wird weiter provoziert.
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Sisyphos-Resistenz-Management: Analog zum herbizid-resistenten Ackerfuchs-schwanz (Alopecurus myosuroides), der zwischen Wildtyppopulationen bei fehlendem Selektionsdruck seine physiologischen Nachteile (fitness costs) populations-genetisch kompensieren kann (Darmency et al.), werden sich glyphosat-resistente Wildkräuter in herbizid-freien Biotopen stabil halten, dort ausbreiten und diese Resistenz-Rückzugsgebiete nutzen, um sich evolutionär weiterzuentwickeln.
Literatur:
Darmency H, Menchari Y, Le Corre V, Délye C, Fitness cost due to herbicide resistance may trigger genetic background evolution Evolution. 2015 Jan;69:271-8.
Heap I, International Survey of Herbicide Reistant Weeds (Online 08.03.2016: http://weedscience.org/summary/moa.aspx?MOAID=12).
Sammons RD and Gaines TA; Glyphosate resistance: state of knowledge Pest Manag Sci 2014; 70:1367-77.
Autor: Dr. rer. nat. Volker R. Stoldt (Dr. Stoldt – BiSafe; www.bisafe.de)
Der Umweltausschuss des Europaparlaments hat sich übrigens gegen die Neuzulassung des Totalherbizids Glyphosat ausgesprochen, solange nicht weitere Untersuchungen durchgeführt wurden. Die Arbeitsgemeinschaft Glyphosat, ein Verbund von Unternehmen der deutschen Pflanzenschutzindustrie, kritisierte den Entwurf. Die Beschlussvorlage enthalte eine Reihe von unbegründeten und wissenschaftlich nicht haltbaren Feststellungen. Das gleiche Theaterstück hat die Industrie übrigens Jahrelang bei den Neonicotinoiden gespielt.
Eine gute Studie aus Großbritannien (da gibt es extrem viele gute faunistische Arbeiten!) über das Zusammenbrechen von Insektenpopulationen nach dem Einsatz von Neonicotinoiden findet man unter
http://www.theguardian.com/environment/2015/nov/24/pesticide-butterflies-declining-uk-study
und
https://peerj.com/articles/1402/